Paneldiskussion zum Shell-Urteil und dessen Auswirkungen
Am 29. Juni 2021 veranstaltete das Institut für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht (IUKR) eine virtuelle Paneldiskussion, die dem Shell-Urteil vom 26. Mai 2021 und dessen Auswirkungen auf das deutsche und internationale Recht gewidmet war. Im Vordergrund der Debatte stand dabei die Frage, ob die Durchsetzung von Gemeinwohlbelangen mit Hilfe des Deliktsrechts eine juristisch überzeugende und rechtspolitisch zweckmäßige Lösung darstellt.
Nach der Begrüßung durch den geschäftsführenden Direktor des IUKR, Prof. Dr. Thilo Kuntz, LL.M. (University of Chicago), erläuterte Professor Elbert de Jong von der Universität Utrecht zunächst die Hintergründe und Argumentationslinien der erstinstanzlichen Entscheidung: Der Umweltverband „Milieudefensie“ und andere NGOs hatten die in Den Haag ansässige Holding-Gesellschaft Royal Dutch Shell (RDS) verklagt, weil diese keine hinreichenden Bemühungen unternehme, den CO2-Ausstoß des Öl-Konzerns zu reduzieren. Dies sah das niederländische Gericht als erwiesen an und verurteilte RDS, die weltweiten Emissionen des Konzerns bis zum Jahr 2030 um 45 % im Vergleich zum Jahr 2019 zu reduzieren. Die Grundlage für diese Verpflichtung liege in einer Sorgfaltspflicht, die dem niederländischen Deliktsrecht zu entnehmen sei. RDS trage nicht nur für die Emissionen Verantwortung, die sich unmittelbar auf ihren Geschäftsbetrieb zurückführen lassen, sondern habe auch für klimaschädliche Folgen einzustehen, die entlang der Wertschöpfungskette sowie durch die Endverbraucher zustande kommen. Der richtungsweisende Charakter der Entscheidung liegt nach Einschätzung von Professor de Jong in dem Umstand, dass das Gericht zur Konturierung des Pflichtenmaßstabs auf soft law zurückgriff. So orientierte sich die Urteilsbegründung etwa an den Zielen und Wertungen des Pariser Klimaabkommens sowie an den UN Guiding Principles on Business and Human Rights.
Im Anschluss an die einführende Stellungnahme von Professor de Jong entwickelte sich eine angeregte Diskussion unter den Panel-Teilnehmern. So gab Prof. Dr. Gerhard Wagner, LL.M. (University of Chicago), von der HU Berlin zu bedenken, dass der konkrete Beitrag eines einzelnen Unternehmens zu einem globalen Problem wie dem Klimawandel schwerlich zu bestimmen sei. Es mute willkürlich an, einzelne Wirtschaftsakteure zur Verantwortung zu ziehen, zumal Wettbewerbsverzerrungen zu befürchten seien. Im Interesse des Klimaschutzes sei stattdessen ein gemeinsames Handeln der Gesetzgeber geboten.
Dieser Kritik schloss sich RA Dr. Hans-Patrick Schröder von Freshfields Hamburg an und gewährte den Teilnehmern Einblicke in die beratende Praxis. Er verwies auf die Rechtsunsicherheit, mit welcher die Entscheidung Wirtschaftsakteure auch in Deutschland zurücklasse. Vergleichbare Klimaklagen auch gegen deutsche Unternehmen halte er in naher Zukunft für sehr wahrscheinlich.
Dr. Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights in Berlin sieht in der Shell-Entscheidung einen Beleg für den Bedeutungszuwachs von Menschenrechten auch für die Privatwirtschaft. Dieser dynamische Prozess habe sich jüngst in dem vom Bundestag verabschiedeten Lieferkettengesetz manifestiert. Auf dessen Grundlage könnten sich Unternehmen nicht länger mit Lippenbekenntnissen zum Menschenrechts- und Umweltschutz begnügen.
Professor de Jong verteidigte die Argumentationslinien des Den Haager Gerichts. Insbesondere sei die deliktsrechtliche Verantwortung einzelner Unternehmen nicht mit dem Argument von der Hand zu weisen, dass ihr Beitrag zu den globalen Emissionen relativ gering sei. Als problematisch beurteilte er indes die praktische Durchsetzbarkeit des Urteils gegen einen global agierenden Konzern.
Im Anschluss an die kontrovers geführte Diskussion standen die Panel-Teilnehmer den Fragen der Zuhörer Rede und Antwort. Prof. Dr. Kuntz schloss die Debatte mit dem Befund, dass sich bei allen Unterschieden in der juristischen Bewertung doch festhalten lasse, dass das Shell-Urteil in seiner Bedeutung weit über die Niederlande hinausreiche.